Mit vier gab ich Trommelvorstellungen auf meinem Spieleimer. Mit sechs zählte ich regelmäßig bis drei und öffnete dann schwungvoll den Vorhang – also die Wohnzimmertür – um auf meinem Kinderspielklavier ein Konzert für meine Eltern zu geben. In meiner Begeisterung hatte ich weder Verständnis für den elterlichen Mittagsschlaf noch empfand ich irgendeine Form von Scham oder Einschränkung für mein Tun, das sicherlich kaum als musikalisch zu bezeichnen war.
Mit sieben trötete ich hingebungsvoll auf einer alten Melodika, aus der unten selbstverständlich der obligatorische Spuckefaden herausrann und tanzte zu meinen eigenen Liedern durch die Wohnung. Irgendwann im Grundschulalter entdeckte ich Muttis alte Blockflöte und wollte sie unbedingt spielen lernen. Ob Mamma Mia von ABBA, der Pokémon Titelsong, Ein Bett im Kornfeld, Aha, die Backstreetboys, No Angels, Silly, Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen, Johann Sebstian Bach, Evanescence oder immer und immer wieder die Songs aus den Disneyfilmen: Musik hat mich schon immer bewegt und solange sie mir gefiel, machte ich mir wenige Gedanken darum, ob sie einem bestimmten Stil entsprach.
In der Schule wurde mir zum ersten Mal klar, dass Musik auch weniger Spaß machen kann. Dass es Regeln gibt, an die ich mich halten sollte und Gesang gut sein muss, damit man ihn von sich geben darf. Und dann immer das Klatschen. Und noch mehr Klatschen. Doch wo ich ihn der Schule die Lust verlor, drehte ich zu Hause auf und spielte und sang was ich wollte. Musik ist stärker als Regeln. Sie ist pure Emotion für mich.
Mit der richtigen Musik kann ich in einer Playlist alle meine Kinderserien erinnern, wieder mit Papa auf dem Alphaville-Konzert auf der Hansesail stehen, an ein unvergesslich witziges Roland Kaiser Konzert denken, den Geruch von Havana Cola in der Nase kitzeln spüren und mit meiner besten Freundin zu Memory von Fragma und Infinity 2008 im Club tanzen – natürlich nur im Klaas Remix. 😉
Ich brüllte mit Bon Jovi “It’s my Life!” gegen den Wind, weinte mit Fantine bei I Dreamed A Dream von Les Miserables, stampfte zu Blümchens’ Kleiner Satellit, bis die High Heels weg knickten und drehte im Auto eine Extrarunde im Kreisverkehr, damit wir Der Himmel brennt von Wolfgang Petry zum Ende mitsingen konnten. Musik und ich – wir haben uns noch nie gern in Kategorien pressen lassen.
Irgendwann als frühe Jugendliche kam der Tag, an dem meine Oma mir ein Keyboard kaufte und ich Klavierunterricht bekam. Die Flöte war mir zu klein geworden und das neue Instrument lockte mit Orgelmodus und voreingestellten Songs, die ich damals wunderbar spannend fand. Damals gab es einen Bruch, mit mir und der Musik. Die Flöte blieb liegen und ich vergass sie so manchen Monat komplett. Meine geliebte Begleiterin war zum Staubfang geworden. Und auch wenn ihre Nachfolgerin heute einen Ehrenplatz auf meinem E-Piano einnimmt, so sind wir uns nie wieder in gleichem Maße nahe gekommen, wie damals, als meine Liebe zur Musik das erste Mal der kleinen Holzform mit den Löchern in meiner Hand schiefe Töne entlockte.
Im Klavierunterricht fühlte ich mich auf die Dauer nicht wohl. Ein viertel Jahr hielt ich durch – oder ein halbes? Ich weiß es tatsächlich nicht mehr so genau, doch woran ich mich erinnere ist der Tag, an dem mein Keyboard durch ein Klavier ersetzt wurde. Den Unterricht gab ich auf, die Liebe blieb. Geknickt, vorsichtig, ein bisschen unruhig fanden meine Finger die Tasten irgendwann wieder von allein und übten sich in Noten, Akkorden und vor allem darin, die Freude am Spiel wieder zu finden, ohne Druck – nur für mich.
Am Gymnasium sang ich im Chor, nicht brillant, nicht mal gut vielleicht, aber mit Freude. Nur das Vorsingen habe ich nie gemocht, denn immer dann, wenn es darum geht, meine Musik an einem Maßstab zu messen, wird sie plötzlich klein, versteckt sich und nimmt die Leidenschaft mit. Ein bisschen, als ob man das Licht ausgemacht hätte. Am allerliebsten spiele und singe ich bis heute allein – das hat sich nie geändert.
Dann kam eine OP. Ein zu großer Schlauch in meinem Hals und kaputte Stimmbänder. Plötzlich wurde aus dem Singen ein Krächzen, aus meiner Stimme ein dauerhaftes Räuspern und aus meiner Chormitgliedschaft eine unsanfte Absage. Es wäre besser, wenn ich den Chor verlasse, sagte man mir damals, ich könnte nichts mehr beitragen. Bis heute bricht meine Stimme manchmal genau dann, wenn sie es nicht soll, ist mal rau, mal quakig, überschlagend, nicht gerade engelsgleich. Bis heute habe ich meinen Gesang kaum unter Kontrolle – doch bis heute hat sich nichts an meiner Liebe zur Musik geändert.
Musik war immer für mich da. Musik sichert Erinnerungen in meinem Herzen wie auf einer Festplatte und ruft Gefühle ab, die mein Gehirn allein nie speichern könnte. Musik verbindet mich mit Orten, Menschen, Gerüchen, Bewegungen und Momenten.
Ich kann Musik in meinem Kopf einschalten und dazu tanzen. Zu Silvester lauschte ich in meinem Kopf Solveigs Lied von Edvard Grieg, hüpfte zu Avril Lavignes Sk8terboi und Beyoncé mit meiner Wunderkerze und summte während des Feuerwerks Lenny Cravitz mit Are You Gonna Go My Way und Culcha Candela’s Hamma grinsend vor mich hin – ohne dass auch nur irgendjemand davon etwas mitbekommen hätte. Ich glaube, Musik ist eigentlich immer da, wenn man hinhört.
Ich war nie gut in Musik. Bis heute kann ich Bassnoten kaum lesen und spiele auf dem Klavier meist abgewandelte Gitarrenakkorde, die ich mal auswendig gelernt habe. Ich schrubbe begeistert auf meiner Gitarre Helga herum und singe dazu mit überschlagender Stimme – gern auch mal versehentlich so weit neben dem Lied, dass man es kaum erkennt. Ich habe zu meinem diesjährigen Geburtstag eine Ukulele bekommen, die unter dem Namen CeCe meine Musik-Familie erweitern wird und ich finde es immer spannend Instrumente auszuprobieren und anzuschauen.
Ich war nie gut in Musik. Aber ich habe sie immer geliebt. Und um die beste Zeit mit einander zu haben, reicht uns das – mir und der Musik.