Wie ihr wisst, habe ich vor einiger Zeit ein paar Tage im Grünen, bei meiner Familie am Schweriner See verbracht. Doch ich habe mich nicht nur im Hotel Mutti bestens durchgefuttert und mir die Sonne aufs immer wohl gefüllte Bäuchlein scheinen lassen, sondern bin auch auf Entdeckungstour gegangen.
Das Ziel meiner Abenteuerlust war die alte Mühle in Bad Kleinen und ich würde meinen, dass es sich bei diesem Koloss definitiv um einen der wohl schönsten, als auch gruseligsten Lost Places der Region handelt. Dass ich eine heimliche Vorliebe für diese bizarre Art von Entdeckungstouren haben, ist seit meinem Besuch in der Iranischen Botschaft in Berlin wohl nicht mehr ganz geheim, aber dieser Ausflug, von dem ich euch hier berichte, war definitiv ein anderes Kaliber.
Nein, nicht etwa weil die Mühle einfach riesig ist und aus jeder ihrer dunklen Ecken gruselige Geräusche ertönen, sondern weil sie zu dem Örtchen gehört, in dem meine Familie groß geworden ist. Dieses Bauwerk war einfach schon immer da.
Ich selbst muss allerdings gestehen, dass ich nur die vage Erinnerungen habe. Wenn ich als Knirps hier vorbei musste, hieß es: „Achtung vor den Hunden!“ Groß und laut, viel zu gefährlich für klein Freedis Geschmack, bewachten sie fleißig das Gelände. Und so gerne ich als Steppke auch einen einen Blick hinein riskiert hätte, an diesen Schäferhunden hätte mich nichts und niemand vorbei bekommen.
So ist das eben manchmal im Leben, die Zeit rast unaufhörlich weiter und genau dann, wenn man am wenigsten damit rechnet, öffnet sich eine Tür. In meinem Falle war es einer der Seiteneingänge zur alten Mühle und so konnte ich selbst heute, als Erwachsene, der Versuchung, mir dieses Stück Geschichte aus der Nähe zu betrachten, nicht widerstehen.
Natürlich ist es dort drinnen dreckig und überall kreucht und fleucht es. Das haben Lost Places nun mal so an sich – diese absolute Gruselfilmtauglichkeit. Und trotzdem gibt es doch wohl nur wenig Faszinierenderes, als auf Erkundung zu gehen. In der einen Hand die Taschenlampe, um den Hals die Kamera baumelnd, tapste ich durch die Dunkelheit.
Vom Keller, in dem ich mich zugegebener Maßen nur recht kurz aufhielt, bis unters Dach, wurde jede einzelne Etage beäugt. Moos und Schlingpflanzen, Schimmel und Staub soweit die Augen reichten. Die alten Bretter knarrten unter der Last meiner Schritte, da konnte ich mich noch so vorsichtig bewegen. Ab und an musste ich einfach den Atem anhalten, aus Angst sonst das ganze Gemäuer zum Einsturz zu bringen. Naja, oder einfach selbst in die Tiefe zu stürzen.
Der Boden glich einem Schweizerkäse und so versuchte ich mehr denn je, meine Indianer Jones Gene zu aktivieren, um mich notfalls mit Hilfe eines geniales Tricks, aus drohenden Schwierigkeiten befreien zu können. Aber natürlich passierte nichts.
An den Alltag des Mühlengeschäftes erinnerten nicht etwa riesige Maschinen. Die waren vor Jahrzehnten verschleppt worden. Doch Kleinigkeiten, wie Bestellzettel, herumliegende Säcke oder angegammeltes Korn ließen mich erahnen, wie betriebsam es hier früher zugegangen sein muss.
Wenn man selbst in solchen Gebäuden herum stromert, ist das irgendwie, als würde man in ein Wurmloch geraten und die Zeit beschließt für diesen Moment still zu stehen. Es gibt natürlich kein zurück, aber es gibt auch kein heute oder morgen mehr. Man versucht einfach nur noch zu erahnen, was einmal gewesen sein könnte. Diese verlassenen Plätze gleichen in Vergessenheit geratenen Büchern. Irgendwie fehlen Seiten, oder man kann die Schrift nicht mehr entziffern, aber in dem Moment, wo du das Gebäude betrittst, oder eben das Buch in den Händen hältst weißt du, du bist ganz nah dran, an einer großen Geschichte.
Und diese Geschichte hier war riesige. Ich kann euch nicht sagen, wie es mit der Mühle weiter gehen wird. Wahrscheinlich altert sie weiter vor sich hin, bis sie sich eines Tages ein letztes mal aufbäumen wird – und unter der Aufbringung all ihrer Kräfte, mit einem letzten großen Knarren, in sich zusammen sinken wird. Denn was soll schon geschehen, mit diesen Kolossen der Vergangenheit, die irgendwann nutzlos und damit traurig zurück gelassen werden?
Sie sterben einsam, meistens unbemerkt irgendwo in der Stille und nur eine Ahnung, eine verschwommene Erinnerung an sie und all ihre Geschichten wird bleiben.