Am gestrigen Abend hat die VICE ins SOHO HOUSE Berlin geladen, um die neuen FRINGES Series zu präsentieren. Eine ausgewählte Schar von Zuschauern, unter der auch ich glückliches Huhn war, durfte es sich zuerst an der Bar und dann in riesigen roten Sesseln gemütlich machen.
Wohl gestärkt und ziemlich gespannt konnte ich es kaum erwarten. Auf dem Programm standen drei sehr interessant klingende Filme, die keine leichte Kost versprachen. Da stehe ich ja sowieso drauf. Realitäten auf der Leinwand, das sieht man einfach viel zu selten.
Das Besondere am VICE FRINGES an Reportagen angelehnten Filmkonzept ist es, dass der Protagonist selbst, für sich sprechen darf.
Anders als bei einer normalen Berichterstattung soll nicht von einer weiteren journalistischen Person kommentiert und vielleicht auch geurteilt werden, sondern man gewährt den Mitwirkenden Raum eigene Worte zu wählen und sich von ihrer ganz persönlichen Seite zu zeigen. Natürlich bleit der Reporter als hinterfragendes Element vorhanden, hält sich aber, soweit es seine Nackenhaare und der pure Menschenverstand es ihm ermöglichen zurück. Es geht einzig und allein um die Charaktere, denen man so auf eine sehr eindringliche Art begegnen kann.
VATER, MUTTER, PLASTIk KIND: Erwachsene spielen Familie, 23 MINUTEN
Der erste der Filme: „VATER, MUTTER, PLASTIK KIND“ nimmt uns mit auf eine ganz skurrile Reise. Im Mittelpunkt steht das Phänomen der REBORN Babies, das sind Babypuppen für Erwachsene, die so täuschend echt nach wirklichen Säuglingen und Kleinkindern aussehen, dass man erstmal damit zu kämpfen hat, sie überhaupt als Puppen zu begreifen.
Wir werden mitgenommen auf eine Messe, wo kleine Köpfe mit Haaren versehen und Arme an Leiber geschraubt werden. Alte, junge, schrullige und sehr adrett wirkende Frauen huschen mit allerlei Zeug bepackt durchs Bild und schleppen ihr babies, äh Puppen mit sich herum.
Doch bei dieser beobachtenden Distanz verbleibt es nicht lange. Wir begegnen Anasha und ihrem Mann. Zwar schüttle ich 23 Minuten lang ungläubig den Kopf bin aber trotzdem gefesselt von ihrer sehr bewegenden Geschichte. Man möchte nicht mit dem Finger auf sie zeigen und trotzdem fällt es sehr leicht eine passende Schublade für das Paar parat zu haben.
Selbst in den 50ern, kinderlos, hocken sie in ihrem Haus, ihrer kleinen Welt, richten Puppenzimmer ein und schaffen es, dass ich Runzelfalten auf der Stirn bekomme.
Der Film ist absolut großartig geschnitten und die einzelnen Szenen sind so intensiv, dass man es schafft mitzufühlen, obwohl es im Hinterkopf nach Distanz schreit.
Wie heißt es doch so schön, „Wahre Vernunft darf niemals siegen!“ und so lächle ich glücklich und zutiefst bewegt, als Anasha sagt: „Willst du normal sein, oder glücklich?“
Wer neugierig geworden ist, hier gehts zum Film!
Nach einer kurzen Vorstellung und Besprechung des Filmes mit Producer und Director Pia Hellenthal & Georgia Malatrasi ging es aber auch direkt weiter.
Königreich Deutschland, 23 Minuten
Was soll ich euch sagen! Gerade dieser Film hat es mir angetan, nicht etwa wegen seiner guten Kameraführung oder seiner gestalterisch ansprechenden Elemente, nein da gebe es sicherlich noch einiges zu verbessern, aber inhaltlich ist er einfach unheimlich stark. Wir begegnen Peter Fitzek, dem Souverän von Königreich Deutschland, dass bei Wittenberg liegt.
Ein Wolf im Schafspelz, dessen wirkliche Bestrebungen im Film der Cleverness des Konsumenten überlassen werden. Gerade das macht für mich die Stärke des Werkes aus. Nicht zu verurteilen, obwohl man am liebsten auf dem Absatz kehrt machen würde. Nicht zuzustimmen, nur um mehr heraus zu kitzeln.
Definitiv ein sehr sehenswerter Streifen, der Redebedarf verursachen wird. Wer von euch danach jedoch eine Bahnfahrkarte nach Wittenberg bucht, dem kann ich nur alles Gute wünschen und den Tipp geben, nicht direkt aus der eigenen Krankenversicherung auszutreten.
Ihr seid gespannt? Gut so, hier lang gehts zum ganzen Film!
Und schon ging es im Eiltempo weiter. Wenn wir bisher noch leichte, bis mittelschwere Kost zu verdauen hatten, sollte es nun ans Eingemachte gehen.
Vom Neonazi zum Islamhasser, 23 Minuten
Abstoßende Tätowierungen, verbaler Schund und dabei ein seliges Lächeln auf dem Gesicht. Ein Kerl dem man weder im Dunkeln noch im Hellen begegnen möchte. Fanatischer Christ, der sein Schicksal und das vieler anderer Menschen in die Hand Gottes legt, doch natürlich nicht, ohne selbst als besonderes Werkzeug des Herren auf dessen unergründlichen Pfaden zu wandeln.
Abstoßend und wenig faszinierend, ist er schwerlich zu ertragen und es grenzt an absolute Beklopptheit, als der Protagonist beginnt seine Schicksalsgeschichte auszupacken. Mit einer tiefen Überzeugung lebt es sich wohl eindeutig leichter.
Wer da zum Feindbild, zum Sündenbock wird, ist ja auch eigentlich egal, Hauptsache es gibt sie, die Anderen, die Fremden, die es zu bekämpfen gilt. Mich würgt es schon im Hals nur an diesen Typen zu denken und so kann ich euch diesen Film nur empfehlen, wenn ihr bereit seid, euch einzulassen auf einen erschütternden Einblick in fanatische Wirklichkeiten.
Wer mit wem, wogegen ist ja auch eigentlich egal. Ich kriege nach gestern Abend bestimmt gleich wieder Eckelherpes, weil der Typ einfach unerträglich ist. Entschuldigt meine Offenheit, aber zu diesem Film empfehle ich harte Stühle und Wasser und Brot, denkt bloß nicht, ihr könntet euch dazu aufs Sofa lümmeln und gemütlich Pizza mampfen, die wird euch im Halse stecken bleiben.
Mutige schauen hier.
Und so bin ich völlig durchgerüttelt und wach, als auch der letzte der drei Kurzfilme ausgeflimmert hat. An der Bar sammelt sich dann die gesamte Belegschaft und weil die Streifen eben sind wie sie sind, wird aus der weiteren Abendplanung einfach mal nichts, denn darüber muss gesprochen werden!
Danke liebes VICE Team für diesen wundervollen & eindringlichen Abend