Seichter Wind streicht uns an diesem sonnigen Mai-Tag durchs Gesicht. Leicht hören wir bereits die Oder in der Ferne plätschern während wir unseren Blick über das dichte Schilf am gegenüberliegenden Ufer streifen lassen. Ein bisschen gedankenversunken träumen wir für einen kurzen Augenblick von den Abenteuern von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Werden dann aber vom Gebell eines kleinen Hundes wieder wach gerüttelt. Die Hündin „Babette“gehört zu Frauke de Vere Bennett, unser Natur- und Kanuführerin für diesen Nachmittag. Wir wollen beim Paddeln auf der Oder die wunderschöne wilde Natur im Nationalpark Unteres Odertal entdecken. Kaum jemand kennt diese besser, als die studierte Biologin Frauke. Fortan ist also Schluss mit der Träumerei: Wir schärfen unsere Sinne für dieses nassfröhliche Outdoor Abenteuer und allerhand frisches Wissen rund um das Leben am Fluss!
Der alte Fluss
Der alte Fluss fließt still und leise durch Ebenen auf seiner Reise in eine wunderbare Zeit. Erfahrung macht den Strom sehr weise, er zieht bedächtig seine Kreise, zum Meer ist es für ihn noch weit. Wer langsam driftet, kann genießen, wer will schon schnell durchs Alter schießen, die Lust liegt in der Langsamkeit. Am Ufer bunte Blumen sprießen, es lacht das Herz beim trägen Fließen, das Sein ist voller Leichtigkeit. – Roland Pöllnitz
Die Oder – Der mitteleuropäische Ol’ Man River
Als sanfter Riese fließt die Oder, oder Odra wie sie auf Polnisch heißt, dahin und lässt Abenteurer Herzen höher schlagen. Hier bei Mescherin im Unteren Odertal oder weiter flussaufwärts im Oderbruch kann sich die Wildnis wieder ungestört entfalten, weil man sie lässt. Ihren Anfang nimmt die Oder nordwestlich der tschechischen Stadt Kozlov: etwa 854 Kilometer von ihrer Mündung in das Stettiner Haff und die Ostsee entfernt, entspringt die Quelle am Fidlův kopec (dt. Fiedelhübel) im Odergebirge.
Vorallem die West Oder, der sich bei Friedrichsthal für einige Kilometer vom Hauptarm abzweigende Flussteil, lockt mit seinen ruhigen wenig befahrenen Gewässern zu einer Kanutour. Die Seitenarme, Kanäle und Gräben der angrenzenden Polderwiesen durchziehen das Feuchtgebiet wie kleine Äderchen und spenden unzähligen Tier- und Pflanzenarten einen kostbaren Lebensraum der anderswo bedroht ist oder gar nicht mehr existiert. Umso besser ist es da, dass das Untere Odertal – in etwa der Flussabschnitt zwischen dem brandenburgischen Schwedt und der polnischen Stadt Stettin, als Deutschlands erster Auen-Nationalpark eingerichtet wurde. Doch das Schutzgebiet macht an den deutschen Grenzen glücklicherweise keinen Halt sondern erstreckt sich auch auf die wesentlich größeren polnischen Auen und bildet so das erste grenzüberschreitende Großschutzgebiet mit Polen.
Doch die Oder kommt nicht immer so freundlich daher – sie kann auch anders! Die große Flusslänge bietet der Oder ausreichend Anlaufstrecke und wasserreiche Zuflüsse um verheerend an ihren Ufern zu wüten. Um die Überschwemmungen der Oder zu zähmen hat man sich deshalb ein raffiniertes Deich- und Schleusensystem entlang der Polderwiesen ausgedacht. Sollten bei Flut den deutschen und polnischen Flussanwohnern nasse Füße drohen, werden die Polderflächen geflutet. Der Polder, dessen Name im übrigen aus dem Niederländischen stammt, steht für das Prinzip einer Badewanne mit einem Zu- und einem Ablauf. Bei extremen Fluten, wie denen von 1997 und 2010, wird ein Zulauf geöffnet und ein Teil der Wassermassen in den Polder geleitet. Die „Badewanne“ nimmt so Druck von den Deichen der Ortschaften und Städte. Das Wasser verbleibt einige Tage oder gar Wochen im Polder und wird nach Abklingen der Überflutungsgefahr wieder in die Hauptarme der Oder zurückgeleitet.
Die nächsten Jahrzehnte werden im Zuge des Klimawandels zeigen, wie gut die Deichmodernisierungen und Flutschutzmaßnahmen wirklich sind. Das nächste Jahrhunderthochwasser kommt bestimmt. Aber bis es soweit ist, wollen wir erst einmal die prächtige Natur erkunden, die sich hier zwischen dem brandenburgischen Mescherin und dem polnischen Gryfino so tapfer ihren Weg bahnt und zurück erobert was eigentlich ihr gehört.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von widgets.scribblemaps.com zu laden.
Der überwiegende Großteil des Parkbereichs, mit Ausnahme der Naturschutzgebiete, ist für Touristen zugänglich. Er kann mit dem Kajak erforscht werden, allerdings werden auch Wanderfreunde mit den Attraktivitäten dieser Gebiete mit Sicherheit zufrieden sein. Denkt bitte daran, dass im Bereich des Parks, bis auf die Hauptwasserläufe, die Benutzung von Motorbooten verboten ist, mit Ausnahme der berechtigten Dienste. – Nationalpark Unteres Odertal
Die wilde Natur der Uckermark: Auf Kanutour im Nationalpark Unteres Odertal
Unsere wilde Flussentdeckungsreise starten wir, wie du bereits erahnen konntest in Mescherin, einer hübschen 800-Seelen Gemeinde in der nordöstlichen Uckermark. Hier lassen wir nach einem kurzen Kartenüberblick und einer Sicherheitseinweisung die Kanadier zu Wasser und verstauen unser Gepäck samt Bootshund „Babette“. Die darf auf keinen Fall bei diesem Abenteuer fehlen. Unsere Route führt uns aus dem Mescheriner See, einem geschützten Altarm, in die West Oder.
Kurz hinter dem Campingplatz taucht mit einem halbversunkenen Schiffswrack nahe des östlichen Ufers auch schon das erste Highlight unser Tour auf. Das Schiffwrack, ein verrosteter Schleppkahn, ist natürlich nicht einfach so an seine letzte Ruhestelle gekommen. In den letzten Kriegstagen 1945 sollte das deutsche U-Boot-Archiv vor der anrückenden Roten Armee in Sicherheit gebracht werden. Doch das Vorhaben scheiterte nach einem Bombardement. Der Schiffsverband wurde manövrierunfähig geschossen und lief letztlich auf Grund. Die von der roten Armee erbeuteten Filmarchive landeten dann zur militärischen Auswertung in Moskau.
Weiter geht es in nördlicher Richtung auf die Mescheriner Brücke, die Deutschland und Polen über die B 113 bzw. die polnische DW 120 miteinander verbindet. Heute wollen wir die Brücke jedoch nicht unterqueren – bereits auf Höhe des Mescheriner Hafens biegen wir unter einigen Bäumen rechts durch ein geöffnetes Fluttor in einen schmalen Graben ein. Jetzt ist es plötzlich ganz still. Nur einen Vogel höre ich leise aus den Bäumen am Ufer zwitschern und gelegentlich unsere Paddel seicht im Wasser plätschern. Das geht vielleicht drei Minuten so gut, ehe es Bootshündin Babette zu langweilig wird und die zauselige Terrier-Dame einen Satz ins Wasser macht.
Schau, schau – dort drüben türmt der Biberbau
Vor lauter Schmunzeln über Babette’s Affinität für das kühle Nass sind wir dann auch im Nu an unser nächsten Station angelangt. Am Ufer vor uns türmt sich eingerahmt von allerlei Schilf und anderen krautigen Pflanzen imposant die hölzerne Biberburg auf. Mühsam muss es für den Biber sein, die vielen tausend Äste herbei zu schaffen wenn man bedenkt, dass es in den Polderwiesen des Unteren Odertals nicht wirklich bewaldet ist. Vorbei schwimmendes Treibholz ist aus den Haupt- und Nebenarmen des Oder Stroms zu besorgen.
Eine Biberburg beansprucht dabei bis zu zehn Metern Breite an der Uferböschung und kann bis zu drei Meter hoch werden – eine kolossale Leistung für die munteren Baumeister. An stärker fließenden Gewässern errichten die munteren Schwimmer sogar regelrechte Staudämme mit hundert Metern Länge. Die Biber Behausungen sind dabei aber nicht nur gewaltig in ihren Dimensionen sondern auch ausgesprochen ausgeklügelt: Um Stürmen, starken Strömungen oder großen Treibholzstämmen stand zu halten, ordnen die Biber die Äste über Kreuz an und verkeilen diese miteinander. Für die kalten Wintertage kommen dann zusätzlich immer noch einige Schlammschichten hinzu.
Während der Biber sich in den alten Tagen vor seinen wichtigsten natürlichen Feinden wie Bär, Luchs und Wolf in Acht nehmen musste, geht heute am ehesten eine Gefahr von wildernden Hunden aus. Also, mach fein Platz Babette! Doch auch gegen derartige Bedrohungen hat der Biber seine Burgen gerüstet und diese mit mehreren Unterwasser Eingängen ausgestattet. Eine ausreichende Luftzufuhr in der Wohnstube wird durch die Ast-Verzweigungen an Oberfläche gewährleistet.
Auch um seinen Bau herum macht es sich der Biber „schön“, wie uns Frauke Bennett berichet. Aus dem umliegenden Revier schleppt der Biber sich seine Lieblingspflanzen heran und pflanzt sie wieder vor seiner Burg auf dem so genannten Nahrungsfloß ein. Ein echter Gärtner unser Freund der Biber. Wählerisch ist er was seinen Speiseplan an geht jedoch nicht – allerhand Sträucher, Kräuter, Blätter, Knospen und besonders gerne junge Zweige von Weiden und Pappeln munden ihm. Dabei ernährt er sich übrigens ausschließlich vegetarisch. Mit ihren scharfen Vorderzähnen nagen die Biber die Rinde oder Zweige von Bäumen ab und futtern sie anschließend, aber so recht zeigen wollten sie sich uns dabei nicht.
Der schützenswerte Artenreichtum des Unteren Odertals
Unsere Kanutour führt uns weiter, vorbei an hunderten Weißen Seerosen und strahlend gelben Sumpf-Schwertlilien, die ihre Blütenköpfchen mutig aus dem Wasser strecken. An die 1.726 Pflanzenarten wurden 1998 bei umfangreichen Forschungen festgestellt, 303 von ihnen stehen auf der roten Liste der bedrohten Arten des Landes Brandenburg. Ein Grund also dieses bedeutende Landschaftsgebiet mit allem gebührenden Respekt zu erkunden und möglichst keine Spuren zu hinterlassen, geschweige denn diese empfindlich zu stören. Was gibt es also noch zu entdecken?
In den flachen Uferstreifen eines Seitenarmes wachsen dünne Sumpf-Schachtelhalme etwa 60 Zentimeter aus dem Wasser empor. Das klingt so erstmal nicht weiter spannend. Erstaunlich aber wird es wenn man vorstellt, das ein naher Verwandter dieser Art im Perm vor 290 Millionen Mitteleuropa mit einem 20-30 Meter hohen Urwald überzog. Das Klima zu jener Zeit war weitestgehend tropisch bis subtropisch. Optimal um, ähnlich wie chinesischer Riesenbambus, in die Höhe zu schießen. Ob die Stachelhalme mit den zunehmenden Temperaturen auch wieder weit in den Himmel ragen werden? Das bleibt wohl vorerst Gedankenspielerei, hängt das zukünftige Pflanzenwachstum doch von unzähligen Faktoren ab.
In der Gegenwart drückt sich ein Faktor der mit menschlichem Umdenken zusammenhängt bereits besonders positiv aus: Die Wasserqualität hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verbessert und erlaubt es Wasserpflanzen wie dem gemeinen Schwimmfarn oder Krebsschere wieder ausgiebig in den Fließen zu wuchern. Das interessante bei der Krebsschere ist ihr U-Boot-Verhalten zum Jahreszeitenwechsel. Wird es kälter, sinkt sie wieder auf den Gewässerboden ab und überwintert auf Tauchstation – zum Frühjahr taucht sie mit steigenden Gewässertemperaturen wieder auf.
Von den besseren Lebensbedingungen profitieren aber nicht nur Wasserpflanzen sondern das gesamte Ökosystem. Viele Arten von Wasser- und Sumpfvögeln sowie der Fischbestand durchsuchen das Gebiet nach schmackhaften Fröschen, Insekten und Mollusken. Auf und unter den schwimmenden Blättern entdecken wir Weichtiere wie die Posthornschnecke oder Blutegel und um unsere Nasen schwirren Libellen und Schmetterlinge.
Vor allem Ornithologen mit scharfem Blick können sich in diesem Biotop an den anderswo so bedrohten scheuen Brutvögeln erfreuen: unter anderen See- und Fischadler, die Sumpfohreule, die Bartmeise oder der weltweit vom Aussterben bedrohte Seggenrohrsänger tummeln sich hier auf Suche nach Nahrung oder spielend in den aufsteigenden Lüften.
Mit der sich senkenden Sonne treten wir unseren Rückweg an und machen das Wasser nun für die Wasserfledermaus oder auch das Große Mausohr frei – schließlich wird es langsam Zeit fürs Abendbrot.
Zur Kranich Schau: Hochhinaus auf dem Aussichtsturm in Mescherin
Du willst das Untere Odertal im Frühjahr oder Herbst besuchen? Dann besteige den 11 Meter hohen Beobachtungsturm nördlich der Mescheriner Brücke und überblicke die Auen und Polderwiesen. Zum Wechsel der Jahreszeiten sammeln sich die Zugvögel zu Tausenden auf den feuchten Wiesen zwischen den Oderströmen und rasten auf ihrem beschwerlichen Weg in die milderen südlichen Gefilde. Enten, Kraniche und Gänse aus dem hohen Norden bevölkern dann das Gebiet, dass im Sommer sonst den Störchen und Graureihern gehört. Auf der polnischer Seite, kurz vor Gryfino wartet übrigens ein Lehrpfad auf euch – probierts doch mal aus.
Weiter geht’s! – Wohin kann ich weiter reisen?
Wenn du dich an den wilden Auen satt gesehen und geforscht hast, bietet die Uckermark trotzdem viele Möglichkeiten sich an der Ruhe und der frischen Luft zu erfreuen. Mach dich in den Wiesen auf die Suche nach echten Wisenten oder den Heckrindern, Nachzüchtungen der ausgestorbenen mythischen Auerochsen. Sollte es dich an die Ostsee verschlagen, kannst du einfach mit dem Rad am Oder-Neiße-Radweg über die schillernde Metropole Stettin bis nach Usedom fahren und deine Füßchen in den Strandsand stecken.
Auf dem Rückweg nach Berlin locken allerhand Badeseen rund um Angermünde, die im Sommer wohltuende Abkühlung unter der brandenburgischen Sonne spenden. Schatten spendet hier auch der Grumsiner Forst als UNESCO Weltkulturerbe. Dieses Waldgebiet am Wolletzsee wird in einigen hundert Jahren wieder ein echter Urwald werden, so wie er sich vor langer Zeit fast über ganz Mitteleuropa erstreckt hat. Nach langer Wanderschaft, sausenden Radfahrten über eiszeitliche Hügel oder Runden in den Badeseen brauchst du eine deftige Mahlzeit. Herzhaften Proviant wirst du auf Gut Kerkow, dem Bio-Bauernhof samt Hofladen von Fernsehköchin Sarah Wiener finden.
Wir wünschen dir eine tolle Zeit in der Uckermark und bedanken uns bei unser Naturführerin Frauke und beim Tourismusverein Angermünde für die schönen Erlebnisse.