“Ich mag Berlin nicht”, pflegte ich zu sagen und nutze manchmal sogar noch negativere Verben um meinem Unmut gegenüber Deutschlands größter Stadt Luft zu machen. “Es ist mir zu laut und es stinkt und das Meer ist viel zu weit weg.” Sollte ich je in eine Großstadt ziehen, würde es Hamburg werden. Das stand für mich immer fest. Doch Dinge ändern sich. Schicksale verweben sich neu, während andere sich teilen und die Geschichte nimmt nicht selten einen Lauf, den sie mit uns nicht abgesprochen hat. Berlin also. Nun bin ich da. Belehr’ mich eines Besseren! Über dich – und über mich.
Alles ändert sich,
ich bin kribbelig,
eine neue Stadt,
löst die alte ab.
Leben findet statt,
und ich werd’ nicht satt
mich hier umzusehn’
Berlin ist doch schön.
Eine Stadt zu verlassen in der man 26 Jahre gelebt hat, ist gleichzeitig sehr leicht und sehr schwer. Man kennt sich aus, man atmet diese Stadt. Sie fließt im eigenen Blut und an jeder Ecke kennt man alles. Man weiß, wie man sich zu benehmen hat, wo es etwas gut und günstig zu kaufen gibt, welche Restaurants einem gefallen und wo die Musik spielt. Man fürchtet sich nicht und begrüßt Neues manchmal mit einem argwöhnischen Auge, weil doch alles gut war, wie es war. Wenn man seine Geburtsstadt nie länger verlässt als für einen Ausflug, eine Reise ins Draußen, einen Moment, dann vergisst man, dass Horizonte sich erweitern lassen. Wirklich erweitern, über Bücher hinaus, über Ideen hinweg, durch Erfahrung. Man vergisst, das Kribbeln des Unbekannten, das sich Finden, das Ankommen im Neuen, das Ungewisse, das einen mutig macht. Man vergisst ein Stückchen von sich selbst, das man als Kind noch kannte, lebte und liebte.
Ich kam an in einer Stadt, von der ich so wenig wusste, wie man von seiner Hauptstadt eben wissen kann. Noch kleinstädtisch engstirnig, aber mit offenen Ohren. Verschüchterter Blick aus glänzenden Augen. Hallo Berlin.
Der Umzug war begrüßenswert schnell zu Ende, dank unglaublicher Helfer hier vor Ort – einen hatten wir aus Rostock mitgebracht, eine kam aus Berlin zur Hilfe. Zwei Städte – vier helfende Hände, ein Einzug. Es geht noch am selben Tag zurück in die Heimat, die uns ein letztes Mal unser altes zu Hause stellt. Nur wir und 3 Katzen – irgendwie komisch. Hier endet etwas.
Am nächsten Tag verlassen wir Rostock. Zwei schauen auf die Straße, eine schläft, einer miaut, die letzte würgt und schaut unglücklich – hält aber tapfer durch bis Berlin. Angekommen bauen wir auf. Wir schrauben und werkeln und lassen den Haufen aus Einzelteilen immer kleiner werden. Als wir am ersten Abend fertig sind, mit Umziehen, mit Ankommen, mit der Welt, folgt ein tiefer Schlaf. Was man in der ersten Nacht träumt, wird wahr, so sagt man. Flow schläft traumlos wie ein Stein, ich träume von einer Zugreise durch Indien mit Katze Mira.
Berlin gibt uns keine Zeit fürs Langweilen oder zu viel über die Zukunft nachdenken. Nachdem wir unsere Strecke kennen gelernt haben, ist es einfach, morgens in Bus und U-Bahn zu steigen. Jetzt bin ich täglich bei den Berliner Zero Waste Pionieren von Original Unverpackt. Großraumbüro, alles irgendwie laut und ziemlich durcheinander. Gefällt mir. Genau richtig, für das Mädchen, das ihre Uni-Abschlussarbeiten gern bei IKEA in der Kantine schrieb, weil es dort so schön laut war.
Ich kann besser denken, wenn es um mich herum summt und redet. Ich mag es bunt und fühle mich wohl, in dieser Stadt, die mich jeden Tag neu überrascht. Ich mag das U-Bahn fahren. Lesezeit, die ich mir sonst viel zu selten nehme. Das ganze Slow Magazin hab’ ich schon durchgelesen und auch mein Kindle wird in Zukunft immer dabei sein. Endlich eine feste Bücherzeit. In Rostock schaut man unter den Menschen viel weg, wenige sind so richtig wild und bunt und wenn doch mal jemand aus der Reihe tanzt, wird er meist komisch angeschaut.
Hier scheint mir alles okay zu sein, pinke Haare, dunkle Haut, Gesichtstattoos, da es irgendwie alles gibt, macht man sich selbst gar keine Gedanken mehr, wie die anderen einen so finden könnten. Ich kenn’ das so nicht und ich mag es. Fühlt sich frei an. Frei, und gut.
Wo Rostock uns mit verschränkten Armen gehen ließ, empfängt uns Berlin mit offenen. Direkt, aber freundlich. Laut, bunt und groß. Wir werden das Meer vermissen. Unseren besten Freund und andere liebe Gesichter. Aber sonst? Sind wir offen. Offen für Berlin, offen etwas zu erleben und unser Leben in die Hand zu nehmen. Und dann lächeln wir uns an und finden beide, dass hier die Zeit schneller läuft, als daheim, aber die Tage trotzdem irgendwie länger dauern.