Wir wollten nur eine kurze Wanderung machen „Der Lorbeerwald soll wunderschön sein“, sagte ich zu Ben. Unser Teneriffa-Buch hatte es ebenso vorgeschlagen wie einige der Locals, die wir unterwegs schon getroffen hatten. Und nein, ich muss nicht alles machen, was in diesen Touri-Büchern abgedruckt wird, aber diese spezielle Wanderroute durch die berühmten Lorbeerwälder im Norden Teneriffas sah wirklich einladend aus!
Bilder von schmalen Pfaden und Aussichtspunkte mit Blick von hoch oben, auf die Schönheit des Meeres, zierten die Seiten des Reiseführers. Die abgeschiedene Natur und ich verstehen uns ziemliche gut. Als Mensch, der leidenschaftlich gerne in der hektischen Stadt zu Hause ist, brauche ich ab und zu eine Pause vom schönen lauten Berliner Leben. Das mag an meiner Kindheit liegen, schließlich bin ich ein waschechtes Landei. Wir stellen also unseren geliebten HANGGTIME VW Bus am Straßenrand ab und machen uns auf den Weg.
Weil unser Reiseführer von nur einer Stunde Wanderung spricht, kam uns gar nicht erst der Gedanke, ein Futterpaket für unterwegs zu schnüren. Und sowieso, wer hat bei 30 Grad im Schatten schon großartig Hunger? Also wanderten nur eine 1,5 Liter Flasche Wasser, inklusive Reiseführer und Kamera in den Juterucksack, Klopapier sowieso – You never know.
Auch an eine detaillierte Wanderkarte hatten wir nicht im Traum gedacht. Zugegeben, die Wegbeschreibung, die ungefähr die Hälfte eines A5-formatigen Blattes einnahm und eine dazugehörige, wahrscheinlich von Hand gezeichnete Abbildung der Route waren nicht gerade sehr umfangreich.
Dennoch sollte es ja kein stundenlanger Survivaltrip werden. Außerdem waren wir auch nicht in Mexiko, wo giftige Schlangen und gefährliche Spinnen lauerten!
Zuerst war alles prächtig: Der Wald war von atemberaubender Schönheit – wundervoller, als uns zuvor im Reiseführer versprochen wurde. Es war, als könnte jeden Moment eine kleine Elfe hinter dem Baum hervor blinzeln. Nichts war zu hören, außer unseren Schritten, die wegen der gefallenen und schon getrockneten Lorbeerblätter knisterten. Ab und zu war ein Kuckuck zu hören und das Summen umherfliegender Insekten machten die Situation irgendwie perfekt. Wir fühlten uns ein bisschen wie im Paradies, weit und breit keine Menschenseele.
Der Pfad schlängelte sich durch den dichten Lorbeerwald, vorbei an Felsvorsprüngen, Büschen und kleinen Pfützen. Manchmal gelang es uns, einen Blick auf das weit entfernte azurblaue Meer zu erhaschen. Wir kletterten hoch, bis zum beschriebenen Aussichtspunkt. Hier trafen wir das erste Mal auf ein paar andere wanderlustige Menschen. Kein Wunder, denn wenn nicht gerade Wolkenberge die Sicht versperren, ist dieser Punkt eine wahrhafte Pracht, die Aussicht in mitten der Natur.
Es ging entspannt weiter, bis zu dem Moment, an dem wir auf eine Kreuzung stießen, die weder aus unserer Mini-Karte hervorging, noch sonst irgendwo erwähnt wurde. Weil mich mein Orientierungssinn schon häufig übers Ohr gehauen hat, beschloss ich dennoch, Ben nachzugeben – und seiner Richtung zu folgen – den Zank zuvor lass ich hier jetzt mal Außen vor. Wir liefen und liefen – bis zur nächsten Kreuzung, die – ihr ahnt es wohl schon – auch nicht eingezeichnet war. Zuerst fand ich es noch ganz lustig. „Die Blair Witch wird uns holen und wie Backhühnchen über dem Feuer grillen.“ Aber bald drehte sich mein Stimmungsbarometer, denn inzwischen liefen wir schon gefühlte fünf Stunden.
Das Wasser ging langsam zur Neige und unser Magenknurren verschreckte sicher schon das ein oder andere Tier. Wir allerdings wurden auch zur ziemlich leichten Beute für – egal welches Tier.
Leichte Panik machte sich breit, als auch die dritte Kreuzung sich nicht als der richtige Weg entpuppte. Ich wagte es kaum auszusprechen, aber ja, meine Gedanken stolperten immer wieder über diesen eine Satz: „Wir haben uns verlaufen.“ Natürlich wollte ich mich vor Ben nicht blamieren und versuchte äußerlich die Ruhe zu bewahren. Trotzdem kroch mir die Panik immer mehr in die Knochen. Was ich vorhin als noch faszinierend und wunderschön abgelegen empfand, wurde plötzlich zur Farce. In meinem Kopf dämmerte es bereits und dunkle Wolken kamen näher. Wir hatten weder Taschenlampe noch Feuerzeug dabei – nichts. Handyempfang gleich Null und mittlerweile hatte auch schon mein Akku den Geist aufgegeben.
Sobald es hier tatsächlich dunkel geworden wäre, hätte man nicht einmal die eigene Hand vorm Gesicht sehen können. Es wäre schlichtweg unmöglich gewesen, weiterzulaufen, ohne sich nicht noch tiefer im Dickicht des Waldes zu verirren. Meine Gedanken verhedderten sich um die Hexe von Blair und anderer Horrorgestalten. Es waren noch über 30 Grad, aber es lief mir eiskalt den Rücken herunter, als wir plötzlich inmitten eines Dorfes standen.
Wir liefen ewig durch Häuserfronten, vorbei an kläffenden Kötern und mit bunten Blumen verzierten Vorgärten. Aber tatsächlich waren wir an einem Ort, den es selbst auf der Karte gab und schnell fanden wir heraus, dass wir in der völlig falschen Richtung unterwegs sind und das, seitdem wir an der ersten Kreuzung links anstatt rechts abgebogen waren. Noch immer war nirgendwo eine Menschenseele zu erblicken, bis ich eine Hauptstraße sah und mir ein riesiger Klumpen Stein vom Herzen fiel.
Allerdings waren wir circa 15 Kilometer vom Parkplatz entfernt. Niemals wäre ich diese Strecke gelaufen, obwohl Ben und ich uns zuerst mal auf den Weg machten. In unregelmäßigen Abständen fuhren Autos an uns vorbei und dann dachte ich, heb ich doch aus Spaß einfach mal den Daumen in die Luft. Und tatsächlich… es hielt jemand an. Ein älteres Pärchen kurbelte erst einmal die Scheibe herunter. „Wo wollen Sie denn hin?“ Ben und ich sahen uns an und mussten lachen. Das Kölner Ehepaar fuhr uns bis zum Parkplatz, wo unser geliebter HANGGTIME VW Bus stand, so frisch und munter, wie sechs Stunden zuvor. Ich hätte ihn umarmen können!