Wer von uns wollte nicht schon einmal einfach seine Sachen packen und los ziehen, bis zum Ende der Welt? Doch wo fängt es an? Und wo hört es auf? Und woher weiß ich, dass ich nicht am Busen der Natur gelandet bin, sondern am Arsch der Welt?
Für den einen ist es das Fleckchen Grün hinter dem Haus, der Roadtripp durch Australien, oder das All inclusive Hotel in Ägypten. Für den anderen mag es eine kleine Insel rund um Thailand oder Indonesien sein. Als mich das Fieber erwischte und ich mich aufmachte, das Ende der Welt zu suchen, führte mich meine Phantasie sofort nach Patagonien und Feuerland. Eine herrliche Vorstellung!
Glücklicherweise habe ich dieses Hirngespinst mit meinen besten Kumpels besprochen und die waren sofort begeistert! Und irgendwie ging es dann auch schon los. Noch ein wenig Equipment besorgt, die Flüge gebucht und ab ins Abenteuer. Einmal über den Atlantik gespuckt, ein kurzer Zwischenstopp in Santiago de Chile und schon landeten wir in Punta Arenas. Doch wir waren noch lange nicht am Ziel. Und so ging es mit dem Bus weiter nach Puerto Natales, denn wir wollten am kommenden Tag den Nationalpark TORRES DEL PAINE in Angriff nehmen.
Schon auf dem Weg dahin begeisterte uns die Weite der patagonischen Steppe. Ein Wahnsinn sage ich euch!
Unser Vorhaben, die Umrundung des TORRES DEL PAINE, sollte es in sich haben. Los ging’s mit der Eroberung. Dabei handelt es sich um drei riesige Granitberge, die zwischen 2600 und 2850 Meter hoch sind und die erstmal geschafft werden wollen! Diese drei „Blauen Türme“, die ihre scharf gemeißelten Steinspitzen in Patagoniens stürmischen Himmel recken, haben dem Park ihren Namen gegeben. Auf dem 2-3 stündigen Weg zum Startpunkt unserer Route der Hosteria Las Torres, wurden wir von der typischen Tierwelt dieser faszinierenden Region begleitet, nämlich von den Guanakos und Ñandus. Ja, ja jetzt fragt ihr euch, was das sein soll. Ich sag’s euch, es handelt sich dabei um einheimische Arten von Kamelen und riesigen Laufvögeln, die einen an Straußen erinnern. Beim Anblick dieser Gefährten, wird einem ziemlich fix klar, dass man sich nun tatsächlich am anderen Ende der Erde befindet. Und eine weitere Erkenntnis suchte uns während dieser ersten Stunden heim: Uns wurde bewusst, das wir eindeutig zu viel Zeug in unseren Rucksäcken hatten. Schweißtriefend am ersten Camp, am Fuß der Berge angekommen, begannen wir sofort damit unnötigen Kram auszusortieren. Wer will schon drei Jeanshosen und 12 T-Shirts mit über den Pass schleifen.
Kurz durchgeatmet und dann baute ich zum ersten mal mein neues EXPED Zelt auf. Das Gute ist alleinstehend, was nicht etwa heißt, dass es Single ist, sondern einfach bedeutet, dass man keine zusätzlichen Heringe mitschleppen muss, um es stabil aufzubauen. Ein geiles Teil von 2,5 Kilogramm, das mir seitdem steht’s ein treuer Begleiter ist. Fix ein Feuer gemacht, zwei Flaschen Wein geköpft und schon begann unser erster richtige Abend irgendwo im nirgendwo.
Aufgewacht und los ging unsere Tour. Bergauf, bergab durch eine wunderschöne Wiesenlandschaft, auf die ein karger, märchenhafter Wald folgte. Nach einen circa 4 Stunden Marsch kamen wir an eine kleine Hütte, an der wir unsere Mittagspause verbrachten. Es gab zwar weder Strom noch Wasser, aber eine Speisekammer. Im Nachhinein stellte es sich für den armen Wächter wohl als Fehler heraus, uns seine Leckereien unter die Nase gehalten zu haben, denn wir waren so ausgehungert, dass wir ihm fast die letzten Haare vom Kopf gefuttert haben. Zu unser aller Glück, kam nach einer Weile ein Gaucho mit seinen voll gepackten Pferden vorbei und brachte Nachschub. So lagen wir mit unseren voll gefutterten Bäuchen bei strahlenden Sonnenschein unter einem riesigen, alten Baum und beobachteten eine große Schar Vögel, die um uns herum flogen. In imposanter Höhe tauchte plötzlich ein Vogelpärchen über uns auf! Das Fernglas geschnappt und geschaut. Es stellte sich heraus, dass wir tatsächlichen zwei riesige Andenkondore, mit einer Flügelspannweite von 3 Metern, beobachten durften. Diese Vögel zählen zu den größten Greifvögeln überhaupt. Ein tolles Gefühl!
Nach der Pause ging es weiter, einen schmalen Felsgrad endlang. Und um so mehr wir uns den Bergen näherten, um so zugiger pfiff uns auch der typisch raue, patagonische Wind um die Ohren. Ich fühlte mich einfach frei und glücklich. Es war geil.
Am Ende des Tages zog sich unser Weg durch eine bezaubernde, mit Wasser durchflutete, Tiefebene. Wir waren an unserem nächsten Lagerplatz angelangt. Ein Glück, denn einer von uns konnte gerade noch sein Zelt aufbauen und fiel sofort, einem Stein gleich, in seinen Schlafsack. Wir schoben ihm noch eine Portion Nudeln durch den Zeltschlitz und machten uns im vollem Schein des Mondes auf, die Gegend zu erkunden. Gleich in der Nähe war ein See, an dessen Ende sich eine wunderschöne Gletscherzunge in das dunkle Wasser schlängelte. Betäubt von der Schönheit dieser rauen Natur und dem einen oder anderen Schluck Feuerwasser, rissen wir uns die Sachen vom Körper und sprangen in das eisige Nass. Es fühlte sich an, als hätte das Wasser mit Tausenden von Nadeln auf uns eingestochen, die Luft wurde knapp und wir machten, dass wir schleunigst wieder an Land kamen. Uhhhhaaa! Aufeinmal war wieder Leben in unsere müden Knochen gefahren und wir freuten uns nun mehr denn je auf unseren wohl verdienten Schlaf. Der nächste Tag konnte kommen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück setzten wir uns bei Zeiten in Bewegung, um unser nächstes Ziel, einen Zeltplatz vor dem John Gardner Pass, der mit 1250 Meter den höchsten Punkt unserer Wanderung darstellte, zu erreichen. Wir verließen unser Camp am Lago Dickson und hielten direkt auf einen alten Buchenwald zu. Die Gehzeit beträgt rund 4 bis 5 Stunden, wobei man einen Höhenunterschied von ca. 400 Höhenmetern zu meistern hat. Nicht ganz ohne, aber für so junge Muskelkerle wie uns kein Thema. Oben angekommen erwartete uns eine kleine Überraschung. Da die Hauptsaison noch nicht angefangen hatte, war dieses Camp leider noch geschlossen. Und noch schlimmer, die wenigen aufgebauten Zelte, die dort mitsamt eines riesigen Kochzeltes, aus dem es schon wahnsinnig gut nach Essen roch, standen – waren allein für eine geführte, angemeldete Wandersgruppe, die wir schon bei Zeiten überholt hatten (hohoho), aufgebaut worden. Und egal wie sehr wir auch mit unseren Kulleraugen rollten, die wollten uns auch leider nichts, absolut gar nichts abgeben. Zeit für eine erste Krisenbesprechung.
Wir checkten unsere Vorräte und kamen zu der Erkenntnis, dass wir noch genug für genau eine Mahlzeit hatten. Da das nächste Camp mit Einkaufsmöglichkeiten laut Karte zwei Tagesmärsche entfernt lag, blieb uns nur die Möglichkeit: Die schwierigste Etappe des Wanderweges eben noch an diesem Tag an unsere bisher gelaufenen Kilometer dranzuhängen. Uff. Das waren Aussichten. Zudem war einer unserer Gefährten kurz davor die Wanderflinte ins Korn zu schmeißen. Die Investition in einen besonders günstigen Rucksack entpuppte sich zunehmend als Fehlentscheidung. Also waren wir Kamerad wie Sau und beschlossen seinen Krempel unter uns aufzuteilen. Was da zum Vorschein kam, werde ich meinen Lebtag nicht vergessen! Wie kann man denn bitte schön, Bücherwurm hin oder her, eine Bibliothek mit auf die Wanderschaft schleppen! Ich dachte ich werd nicht mehr!
Doch was soll man machen, wenn des Literaten Herz fast zu zerbrechen droht, bei dem Vorschlag den Krempel im Lager zurück zu lassen. Also schnappte ich mir einige der alten Schinken und beschloss, dass diese gute Tat meinen Vorrat an positivem Karma bis in alle Ewigkeit auffrischen würde. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, was uns in wenigen Stunden noch erwarten würde, hätte ich mir diesen Akt der Barmherzigkeit definitiv zweimal überlegt.
Raus aus dem Camp Los Perros begann ein Anstieg von 750 Höhenmetern hinauf zum John Garner Pass. Dieser Weg führte uns erst durch ein morastiges Wäldchen, in dem wir von Wurzel zu Wurzel springen mussten. Mit den schweren Rucksäcken auf den Buckeln, eine koordinative Meisterleistung. Danach wurde es karger und irgendwann lag vor uns tatsächlich eine angetaute Schneedecke. Wir stampften durch den tiefen Schnee und wir ächzten und fühlten uns einfach nur fertig. Es fühlte sich so an, als würden wir einen Schritt vor machen, aber gleichzeitig wieder vier Schritte zurück rutschen. Langsam fingen die Beine an zu wackeln und wir näherten uns schier unendlich langsam dem Pass. Aber er kam näher und was uns da erwartete machte alle Strapazen vergessen!
Bei strahlenden Sonnenschein eröffnete sich ein traumhaftes Panorama mit einem spektakulären Blick auf die gigantischen Eismassen des 60 Kilometer langen Grey Gletschers, einem Ausläufer des riesigen patagonischen Eisfeldes. Man konnte sich einfach nicht satt sehen und so legten wir erstmal unsere Rucksäcke ab und genossen die Aussicht. Nach einer Weile jedoch sammelten wie uns und begannen mit dem steilen Abstieg. Wie schon viele Wandersleute vor uns, mussten auch wir spüren, dass es das Eine ist, einen Berg hinaus zu klettern, aber etwas ganz anderes, ihn wieder herunter zu steigen. Irgendwann schmerzte jeder einzelne Muskel im Leib.
Kurz bevor wir unser Nachtlager erreichten stürzte ein kleiner Wasserfall eine Felswand hinunter. Diese Gelegenheit nutzten wir natürlich für eine erfrischende Dusche mit Blick auf den ca. 1000 Meter unter uns liegenden Gletscher. Unbeschreiblich! Die Dusche meines Lebens!
Im Camp angekommen passierte nicht mehr viel. Wir rührten unsere letzten Essensreste zusammen, die bei Weitem nicht der Bringer waren und senierten noch ein wenig über den Tag, bis uns nach und nach die Augen zufielen. Ich hätte ewig schlafen können!
Am nächsten Morgen ging es dann leider ohne Frühstück los und ihr könnt euch vorstellen, dem entsprechend war auch die Laune in unserer Gruppe. Wir redeten nur das Nötigste und stampften, jeder für sich, vor uns hin. Nach dem wir dann vor lauter Hunger so circa 5 Kilometer am nächsten Camp vorbei gelaufen waren, war die Laune am Tiefpunkt. Es gab keine Diskussion, wir waren uns einig. Mit rotierenden Beinen ging es zurück zum Camp Campamento Grey. Dort angekommen überfielen wir das dortige Restaurant und nahmen mindestens einmal alles von dem was es dort gab. Jetzt war alles wieder schön.
Von hier an begann nun der touristisch überlaufenere Teil der Wanderroute, der sogenannte W-Track. Dieser Abschnitt glich nun eher einem Spaziergang, bot aber weiterhin bombastische Aussichten. Die Tour führte entlang dem Lago Grey, welcher mit einer Vielzahl von tiefblauen Eisabbrüchen des Gletschers bestückt war.
Unsere nächste Unterkunft war das Refugio Paine Grande. Dieses liegt direkt am türkisblauen See Pehoé und bietet einen unglaublich tollen Blick auf die Cuernos – die Hörner del Paine. Die Berge tragen die Bezeichnung: Klinge, Schwert, Kathedrale und Haiflosse und bei Sonnenuntergang strahlen sie in leuchtendem Rot und werfen Purpur farbene Schatten auf das darunter liegende Tal. Wir genossen dieses Naturschauspiel bei dem besten Mojito aller Zeiten. Der Alkohol
Schoß sofort in die Beine und in den Kopf und somit hatten wir einen sehr amüsanten Abend.
Am nächsten Morgen ging es nach einem sehr erfrischendem Bad im See weiter zum Campamento Italiano, dem Eingangstor zum Valle Frances – dem französischen Tal. Zwei von uns wollten sich hier ein wenig ausruhen. Wir dagegen legten unsere Sachen ab, verabschiedeten uns von den müden Herren und rannten mit einer Flasche Wasser in der Hand durch das steil bergauf führende Tal.
Auf einer Anhöhe angekommen, hatten wir einen fantastischen Blick auf den Paine Grande, den grössten Berg im Nationalpark (3050m). Seine gigantischen überhängenden Gletscher beeindruckten uns sehr. Der Bekannteste unter ihnen ist sicherlich der Glaciar Frances und es bietet sich einem ein sehr eindrucksvolles Schauspiel, wenn sich die Eisplatten lösen und unter gewaltigem Donnern in die Tiefe stürzen.
Auf der anderen Seite hatten wir einen wahnsinnig schönen Ausblick auf den Lago Nordenskjold. Doch genug geguckt, es musste ja auch mal weiter gehen. Also kehrten wir zum Rest der Meute zurück und machten uns auf, unseren nächsten Lagerplatz zu suchen.
Den See entlang liefen wir durch eine steppenartige Landschaft und kehrten mit Einbruch der Nacht zurück, zur Hosteria Las Torres, unserem Startpunkt der Reise. Vier Tage hatten wir für die Strecke von rund 120 Kilometern gebraucht, von der mein Reiseführer behauptete 7-10 zu benötigen. Grund zur Freude und genug Zeit, schon bald ins nächste Abenteuer der Reise zu starten!